"Loss, zu seiner Sohle!", hörte er einen Wolf knurren. Peterchen war so perplex, das er gar nicht mehr reagieren konnte. Die Wölfe rannten zu seiner Sohle und zerrten daran.
Sie zerrten, zogen, knurrten und knabberten an seiner Sohle, bis Peterchen meinte ein Kitzeln an seinem Ballen und an der Verse zu spüren.
Kaum dachte Peterchen „Hoffentlich zerfleischen sie meine Füsse nicht“, da trennten die Wölfe schon seine Schuhsohlen.
„Huch! Was passiert denn jetzt?“ Peterchen schielte zu seinen Zehenspitzen. Da kam gerade eine Gruppe starker Männer aus seinen sohlenlosen Schuhen herausgestampft. Sie trugen ein Zelt auf ihren Händen. Peterchen folgte ihnen mit den Augen, wie sie an ein freies Gelände gingen und dort das Zelt aufrichteten. Es schien, als würden sie sich hier auskennen und das jedes Jahr so machen.
Peterchen hob seinen Kopf, so gut es ging, um die kleinen Wesen zu sehen, die vor seiner Nase wuselten. Er war ja schwer wie ein Berg, und konnte sich kaum rühren. So hob Peterchen seinen Kopf ganz bedächtig, als würde er Tonnen von Felsgestein bewegen. Jetzt versuchte er zu sehen, was da noch aus seiner Schuhsohle rauskam.
"Ich wusste gar nicht, dass in meiner Schuhsole Leben drinnen steckt", dachte er und lauschte angestrengt. Irgendwoher kam Leierkastenmusik. Auch das schien aus seinen Füssen zu kommen. Deutlich hörte Peterchen noch ein Piepen und Grunzen. Dann kam um seine Füsse ein Bär in einem Tütü gebogen. Er schwebte auf seinen Tatzenspitzen tänzelnd voran, und hinter ihm rollte ein Leierkastenwagen, worauf eine kleine Maus sass. Sie drehte an einem Rad, und regulierte so die Geschwindigkeit der Melodie .
"Was soll denn das?" fragte sich Peterchen.
Was er sah war so befremdelnd, dass er darüber nicht mal lachen konnte. Wie der tumbe Bär in dem luftigen Tütü um den Hüften sich im Kreis drehend voranschwebte.
"Ich geb dir den Namen >Bäralina!<" sagte Peterchen zu sich, um sich irgendwie selbst zu unterhalten. Keiner machte den Anstand mit ihm zu reden. Als sei er ein Berg, stumm und dumm.
"Ich hab mich gar nie gefragt, ob Berge dumm sind?" kam Peterchen ein Gedanke. "Wie komm ich denn jetzt drauf." Doch weiterdenken, konnte er nicht.
Ein vorbeifliegender Fisch zog seine Aufmerksamkeit auf sich.
"Ich weiss, dass es fliegende Fische gibt", stellte Peterchen fest. "Aber die leben im Ozean, und springen kurz fliegend über das Wasser. Aber so herumfliegen tun sie nicht..." und er starrte den Fisch an, der vor seine Nase auf dem Platz herumflog, und hinter sich einen beinlosen Jungen zog, der anstatt seiner Beine zwei Räder unter seiner Hüfte hatte. Peterchen wusste nicht was er davon halten solle: "Entweder führt der Junge den Fisch gassi, oder er segelt auf dem Land..." doch er kam nicht weiter darüber nachzudenken. Denn ein plötzlicher Knall liess ihn hochschrecken, dass die Erde bebte und alle in Aufregung gerieten.
Als Peterchen zu der Stelle guckte wo der Knall herkam, sah er dort einen Wal. Halb so gross wie er, aber dennoch, er war riesen gross. "Der ist kleiner als ich, aber immerhin so gross wie ein Palast oder diese neuen Multiplexx-kinos!" dachte Peterchen, und wunderte sich nicht, dass dieser Wal gerade vom Himmel herunter gefallen war. Er blickte sich weiter um, und sah hinter dem Wal in sicherer Entfernung eine riesengrosse Schlange. Sie kämpfte gerade mit einem Elefanten. Als der Elefant einsah, dass die Schlange ihn besiegt, wollte er wegrennen, doch die Schlange riss ihr Maul auf, verrenkte ihren Kiefer, und nahm den Elefanten in sich auf. Dann schloss sie ihr Maul, und die Stosszähne vom Elefanten, blieben draussen hängen. Die Schlange wand sich. Sie war zu weit weg, dass Peterchen ihr gequältes Gesicht hätte sehen können. Er sah nur eine verbeulte Schlange aus dem Weiten und dachte sich. "Der sieht ja aus wie ein Hut. Genauso einen Hut hatte auch Antoine!"
Nun, war vor Peterchen ein kleiner Zirkuszelt aufgestellt worden. Und Peterchen sah einen winzigen Bären auf ihn zukommen. Er schaute hoch, als würde er vorbeifliegende Zugvögel beobachten. Dabei versuchte er, den Kopf von Peterchen zu finden. Er war ja soo gross, das sein Körper, für die kleinen Wesen, sehr unförmig erschien.
Der Bär schaute ihn an. Seine Augen lugten zwischen der Kapuze seines Dufflecoats und einem leuchtend bunten Schal hindurch, den er sich fest um den Hals und Kinn gewickelt hatte. Das, was von seinem Gesicht noch zu erkenen war, verriet höchste Verwunderung und Aufregung über das, was er vor sich sah.
Dann lief er zu den Gemüsebeeten, dass die Leute während des Zeltbaus angelegt hatten. Er blieb dort stehen und fing an, mit den Pfoten, die Erde zusammenzuschieben. Er versuchte sie zu festen runden Bällen zu formen, doch die Erde war zu trocken. Der Bär lief zu einem Brunnen, holte ein Kübel Wasser und goss es auf die Erde, pantsche damit etwas und machte jetzt kleine Erdbälle. Mit jeweils fünf in der Hand, lief er wieder zu dem Berg, der ein Kopf zu haben schien, und zielte auf dessen Mund. Doch er war zu klein, dass seine Bälle in die Nähe des Kopfes kamen. Peterchen beobachtete die kleine Gestalt mit prüfendem Blick. "Was hat der denn vor?", fragte er sich, und schaute rüber zum Wal, was seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Denn davor hatten sich eine Menge Leute versammelt, und guckten dabei zu, wie einer einen Schild an die Stirn des Wals nagelte, und Peterchen las drauf >WAL-Lokal<. Ein Mann stellte sich vor die Bartenhaare des Wals, und alle blickten ihn an. Er schien auf etwas zu warten. "Vielleicht wartet er auf den Bären", dachte Peterchen und sah skeptisch zum Boden hinunter. Doch der Bär war weg. Stattdessen spürte Peterchen an seinem Hintern ein Jucken, dann ein Pieksen. Er konnte sich nicht erklären was da geschah, doch er hatte das Gefühl, dass jemand ihm einen Loch in seinen Hintern bohrte. Nun kam irgendwoher hinter seinem Kopf ein lautes Pfeifen und Zischen. Für sein Geschmack hörten sie sich ein bisschen zu nah an. Von dem Heulen gebranntmarkt, fürchtete Peterchen, dass das Pfeifen und Zischen auch aus seinem Körper herauskäme, aber woher genau?
Peterchen war nicht der Einzige, dem das extrem laute Zischen auffiel und Sorgen machte. Aus dem Platz vor dem Wal-Lokal, wo Herr K., der Zirkusdirektor eine Rede halten wollte sandte dieser selbst, manchen Blick zum Himmel, während er versuchte, seine Rede zu halten. Zwar war es für die Jahreszeit sehr mild, aber ein Gewitter bei der Saison - das war doch sehr ungewöhnlich. Die ganze Sache gefiel ihm nicht.
"Mein Güte", grunzte er vor sich hin. "Das hat uns gerade noch gefehlt!"
Herr K.'s Miene verdunkelte sich zunehmend. Nichts lief so, wie es sollte. Der Tag hatte schon schlecht angefangen, als der Wal zum Eröffnungsfestakt herunterfallen sollte, und dann zu nah am Zelt, herunterklatschte und fast einige Aufbauer zerquetschte. Und das jetzt noch ein ausserordentlich lautes Zischen und Pfeifen seine Rede störte, brachte das Fass zum Überlaufen.
Ein paar Mal versuchte er seine Rede fortzusetzen, aber immer, wenn er den Mund öffnete, kam lautes Zischen dazwischen. Auch die Zuhörer wurden allmählich unruhig.
Der Junge mit dem fliegenden Fisch schaute sich ängstlich um:
"Wenn mir nur jemand sagen könnte, wo der Bär steckt?" sagte er. "Dass er den Festakt verpasst ist nicht so schlimm, solange er nichts Schlimmes anstellt."
"Mensch!" schrie der fliegende Fisch zu dem Jungen, und riss sein Maul in Richtung des Berges auf. "Seht doch!"
"Du lieber Himmel!", schrie Herr K., der mit den Augen der Flosse des Fisches gefolgt war. "Das Zischen kommt von dem Berg! Er bewegt sich!!"
Der Anblick, der sich nun bot, lies alle versammelten Leute die Augen aufreissen. Der Berg ruckelte. Zuerst etwas, dann heftig und immer schneller. Er schien kleiner zu werden. Das Zischen und Pfeifen, war so laut geworden, dass alle die Ohren zu hielten.
Und ein >Aaaahh!< und ein >Ooooh!< ging durch die Menge, als sich der Berg in die Luft hob und höher und höher stieg, und dabei immer kleiner wurde. Dann kam er runtergesaust, flog über den Platz. Es zischte und pfeifte. Allmächlich wurde das Zischen und Pfeifen leiser. Die Leute dachten, weil der Berg so weit weg geflogen war. Aber das stimmte nicht. Er wurde kleiner. Wie ein Luftballon, dessen Luft rausschiesst, so flog auch aus dem Berg die Luft raus und er verkleinerte sich. Im Hohen Bogen flog er in der Luft, kreiste, zischte über ihre Köpfe hinweg, dass alle sich ducken mussten. Der Berg, war nun so klein wie ein Felsgestein und kreiselte mehrmals über ihre Köpfe, bis er schliesslich mit einem lauten Getöse gegen den Wal krachte, und an ihm entlang runterrutschte.
"Der Schöpfer steh mir bei!", schrie Herr K., als er einen Jungen aus dem sandigen Boden aufstehen, und sich die nackten Knie abklopfen sah. Als dieser einen Schritt gehen wollte, torkelte er und fiel wieder um.
"Es ist ein Junge!", schrie der Bär im Tütü, und stellte sich noch mehr auf seine Bärentatzenzehe, um ihn über die Köpfe der Leute hinweg, besser sehen zu können.
"Er ist ja ganz nackt!" schrie einer aus der Menge.
"Komm bringt ihm was zu bedecken, --- Du! Futluus, bring ihm schnell was zum Anziehen!" orderte Herr K., der Zirkusdirektor, dem beinlosen Jungen an, und dieser rollte mit dem Fisch davon.
"Ist Ihnen was passiert?" fuhr er fort und kam von den Bartenhaares des Wals zu dem Jungen. Er streckte ihm seinen Arm.
"Mir, mir gehts gut!" stotterte der Junge und griff nach seiner Hand. Herr K. fragte ihn:
"Wer bist du denn mein Kind ?"
Er schien etwas eingeschüchtert und sagte zögernd:
"Bitte- ich- im Augenblick weiss ich es wirklich nicht. Ich weiss genau, wer ich gestern abend beim Insbettgehen war, aber inzwischen bin ich dauernd etwas anderes geworden", und versuchte aufzustehen und fiel wieder hin.
"Was soll das heissen?" fragte ihn Herr K. "Erkläre mir das!"
"Aber ich kann es Ihnen nicht erklären!" erwiderte der Junge und stand mit Herr K.s Hilfe auf. "Wirklich - weil ich nicht ich selber bin, verstehen Sie?"
"Nein", sagte Herr K. und die Leute hinter ihm reckten die Hälse und streckten die Köpfe.
"Es tut mir schrecklich leid", sagte der Junge höflich und versuchte zu gehen und torkelte, "aber ich kann es nicht besser erklären, weil ich es selber nicht verstehe. Man kommt ganz durcheinander, wenn man immer wieder etwas anderes ist."
Herr K. hielt ihn am Arm:
"Aha, ist das so?", erwiderte er und versuchte mit ihm, einige Schritte zu gehen.
"Wie soll ich ihnen das erklären...", sagte der Junge zögerlich.
"Wenn Sie eines Tages von hier gehen - das bleibt nicht aus, wissen Sie - und sich in einen Engel verwandeln, dann kommt Ihnen das sicher auch ein bisschen merkwürdig vor, oder?"
"Nein, eigentlich nicht", erwiderte Herr K und nahm die Kleider, die ihm der beinlose Junge überreichte.
"Gut", sagte der gedächtnislose Junge und nahm die Hose an, die ihm Herr K. anbot. "Ihnen kommt es vielleicht nicht so vor, aber ich finde es merkwürdig!" und steckte ein Fuss durch das Hosenbein.
"Ja, du!" sagte Herr K. "Und wer bist du?" Damit waren sie wieder genau am Anfang ihrer Unterhaltung. Doch da trat der Junge plötzlich auf weichen Boden und sank mit jeder Bewegung immer tiefer.
"Vorsicht!", schrie der Bär im Tütü, der sich zu ihnen vorgedrängelt hatte. "Nimm dich vor Herrn K.s Klebetorf in acht!"
"Herr K.s Klebetorf?", wiederholte der Junge und sah sehr verwundert auf seine Füsse hinunter.
Schnell packte Herr K. den Jungen und hob ihn behutsam aus einem kleinen Stück feuchten Torfbodens heraus.
"Meine Damen und Herren!", dröhnte er und bat mit einem Handzeichen um Ruhe. "Ich glaube, dies ist der geeignete Moment, um die Eröffnung des Wal-lokals zum Spektakelbeginn unserem Cirque 'die Sohle' zu verkünden."
"Zwar eröffnet man ein Lokal in der ganzen mir bekannten Königreichern mit Fusstapfen von Prinzessinnen", fügte er unter Beifallklatschen hinzu, "aber ich glaube nicht, dass es viel gibt, die sich eines echten Amnesiasten rühmen können."
"Das heisst nicht Amnesiast, sondern Gymnasiast!" sagte der Junge, als der Beifall langsam abbebte und er den Zement mit abschätzigem Interesse beäugte.
"Du weisst also wer du bist?" fragte ihn Herr K.
"Nein!" erwiderte der Junge trotzig.
"Du hast aber Gymnasiast gesagt. Bist du einer?"
"Iwo, dafür bin ich zu jung. Und es ist zu kompliziert es euch zu erklären."
"Wieso?" fragten einige Stimmen aus dem Publikum.
"Weil ihr es nicht verstehen werdet!" Und nuschelte vor sich hin: "Gott, jetzt rede ich wie Ali!"
"Was ist Ali?" fragte ihn der Bär im Tütü, der ganz nah gerückt war und es gehört hatte.
"Ach, nichts", meinte der Junge und redete wieder laut mit sich.
"Gott ich muss aufpassen was ich sage. Was hatte der Arithmeertik-Leerer gesagt, nicht was du du denkst ist entscheidend, sondern was du sagst?"
"Was sagst du da?" fragte ihn Herr K., der ganz verwundert war, von dem Verhalten des sonderbaren Jungen.
"Ach nichts, nichts, hab grad nachgedacht. Einfach hic, hic."
"Hitsch?" fragte ihn Herr K. wieder. "Was ist hic."
"Nichts. Hic ist nichts. Hab doch gesagt."
"Und wieso sagst du nicht 'Nichts' sondern 'Hitsch'?"
"Diese Fragerei wird mir allmählich zu bund!", sagte der Junge. "Ich habe Hunger. Ich würde gerne Essen. Und Durst hab ich auch. Sagen sie jetzt, was sie sagen müssen, und geben sie mir was zu Essen."
Ein Jubeln kam von der Menge. Und Herr K. hielt seine Rede. Daraufhin stürmten alle in den Wal-lokal, und vergassen den Jungen.
Peterchen stand jetzt ganz allein vor den Bartenhaaren des Wals und verbrachte einige Zeit damit, darüber nachzudenken, was darin sein könnte. Doch dabei kam nur heraus, dass er schreckliche Kopfschmerzen bekam, und immer noch nicht wusste, wieso die Leute da rein gerannt waren und was da drinnen war.
Von seinen Eltern hat er oft das Wort "Wal-lokal" gehört, aber bisher hatte er ihm nicht viel Beachtung geschenkt. Das, was die Erwachsenen taten, interessierte ihn wenig. Er fand, dass sie sich mit langweiligen Dingen beschäftigten. Das konnte er mit gutem Grund auch sagen, denn einmal war er mit der Mutter auch zu so einem Wallokal mitgeganen und ein Blick in das Innere dieses Lokals hineingeworfen. Doch er fand, das da drinnen nicht viel zu sehen gab. Die Leute versteckten sich hinter Vorhängen und kamen mit versteinerten Minen wieder raus. Als er seine Mutter fragte was die da tun, meinte sie, dass sie ein Kreuz auf ein Zettel machen und den in einen Schatel reinwerfen. Er fand, dass es ein blödes Spiel war. "Die Erwachsenen mögen aber ganz sonderbare Dinge" dachte Peterchen.
"Und hier verhalten sie sich auch nicht besser." Er stiess einen Seufzer aus.
"Hoffentlich langweile ich mich da drinnen nicht zu Tote" sagte er zu sich, als er durch die Bartenhaare des Wals in sein Inneres tappste.
Kaum trat er einen Schritt in den Raum, da schlug ihm ein Dunst aus Gesang, Gelächter und Getratsche, gemischt mit dem Geruch geheimer Gewürzen entgegen. Ein Mann zog ihn beiseite:
"Um ein Tisch zu bekommen, musst du den Aal herlocken."
Verdutzt blickte Peterchen in die Augen des Tischanweisers und dann auf das Aquarium, wohinter ihn der Mann geschoben hatte. Er suchte nach Knüppeln, womit er das Aquarium hin und her bewegen konnte, wie sonst bei einigen Spielen, die er kannte. Auch sonst war nirgendwo Zahlen draufgedruckt, wohin der Aal angeschwommen kommen konnte, damit man ihm, den Tisch mit dieser Nummer gab, bzw extra für ihn frei machte. So starrte Peterchen den Aal verdutzt an, und rief nur verwundert aus: "AAl? -- Oh??"
Plötzlich sauste der Aal an die Scheibe und drückte seinen Maul dagegen, dass sich seine Lippen daranpressten, als wolle es ihn abknutschen oder aufsaugen. Peterchen schreckte zurück und der Mann packte ihn an der Schulter.
"Wenn der Herr mir folgen möge", sagte er und schob Peterchen an eine grosse, runde Tafel, hob ihn hoch und setzt ihn in mitten auf die Platte. Dann brachte er ihm eine grosse Schachtel und drückte sie ihm in die Hand. Schon hatten sich einige Leute, die herumstanden, musizierten, tanzten oder tratschten, einen Stuhl geschnappt, und setzten sich rund um seine Tafel.
Peterchen starrte verwundert mal auf die Schachtel, mal auf die gespannten Gesichter der Leute, und wusste nicht was er tun sollte. Er schaute wieder auf die Schachtel.
"Ob da drin das ganze Papier mit den Kreuzen drin ist?", fragte er sich. "Was soll ich denn damit jetzt tun?"
Er besah sich die Schachtel genauer.
Ein Schild mit der Aufschrift Tellatale klebte am Seitenrand, und insgesamt machte die Schachtel einen äusserst interessanten Eindruck.
Das Wal-lokal übertraf Peterchens kühnste Erwartungen. "Also ich hätte noch hundert Jahre vor den Bartenhaaren stehen und denken können. Aber nie im Traum wäre mir so was eingefallen." dachte Peterchen und sagte noch nichts. "Was hatte der ArithmeertikLeerer gesagt? Nicht was du denkst ist richtig, sondern was du sagst.--- Sag jetzt ja nichts Falsches." ging es Peterchen durch den Kopf und er beachtete dabei den Deckel. Eine Reihe bunt leuchtender Bilder war darauf geklebt, und darunter stand: SCHRITT FÜR SCHRITT. Quer über die ganze Schachtel liefen in verschnörkelten Lettern die Worte: Kopf frei. Original türkische Erzähler-Ausrüstung für den MEDDAH.
Im klein Gedruckten darunter stand weiter, dass selbst ein neugeborener Esel in kürzester Zeit die Leute mit seinen Erzählungen einfangen und bezaubern kann. Zum Beweis war auf den ersten Zeichnungen ein Eselfüllen abgebildet, das sich den Erzählerumhang umlegte und mit strahlenden Eselsaugen, seine Zuhörer angrinste. Und sie blickten ihn verträumt an.
Peterchen öffnete die Schachtel und eine Oboe ertönte, als hätte er eine Spieluhr angemacht. Schon die Musik fing einen ein und versprach verheissungsvolle Stunden mit dem Erzähler.
Peterchen untersuchte den Inhalt der Schachtel genau. Doch da war nur der farbenprächtig, mit ornamenten und goldbestickte Umhang. Und drunter nur ein uraltes Heftchen mit vergilbten Blättern. Peterchen nahm's heraus. Ihm stieg ein morscher Geruch in die Nase. Wie ein alter, vergammelter Baum. Doch er konnte das dünne Heftchen nicht öffnen. Es war wie festgeklebt und hart wie Holzklotz.
Peterchen fragte sich, ob er den Umhang sich umlegen solle. Zwar stand auf dem Deckel mit den Bildern nicht, ob auch ein neun jähriges Kind so wunderbar erzählen könnte, aber alles sah wirklich furchtbar einfach aus. Peterchen ahnte, dass die Leute, die um den Runden Tafel sassen, darauf warteten, dass er endlich zu erzählen, anfangen solle, und Peterchen überlegte sich, ob er ihnen das Märchen vom Gestiefelten Kater erzählen solle. Oder vielleicht doch seine eigene, unglaubliche Geschichte, was ihm wiederfahren war. Das klang wirklich märchenhaft. Nur wie sollte er es erzählen, dass es auch so klang.
Die Leute um den Tafel wurden schon unruhig. Doch Peterchen war viel zu sehr von dem Gedanken in Anspruch genommen, um irgendetwas anderes mitzubekommen.
So ganz in seiner Welt versunken nahm er den Umhang und steckte eine Hand in das Armloch. Da flog er schon im weiten Bogen durch die Luft und wallte hinter seinen Rücken. Unter „Aaaaah!“s und „Ooooh!“s sprang das Büchlein auf sein Schoss, und blätterte sich auf, und ein lieblicher Duft aus Sandelholz und Weihrauch nahm den Raum ein. Vor allen Gästen tauchte ein zierliches Glas, mit heissdampfendem Tee auf. Es sah so einladend aus, dass Peterchen nach einem gegriffen hätte. Doch er besah sich das Bild auf der aufgeschlagenen Seite an.
Da war ein handgezeichneter Mann, der für ihn, wie ein Druide wirkte.
Und Peterchen begann zu lesen:
Es war einmal, es war keinmal. Gottes Geschöpfe gab es viele an der Zahl. In einer Zeit, die längst vorbei, war Schiefes schief und Krummes krumm. Deshalb hört mir zu und seid nicht dumm. Hört mit dem Herzen, spitzt die Ohren, unser Märchen ist der Wahrheit entsprungen. Nichts davon ist erlogen und kein Wort darin ist wahr. Denn in Vorzeiten war das Leben anders, da schneiderten Flöhe Kleider und Kamele feilschten auf den Märkten, Bauern siebten und harkten mit den Händen.
Im ganzen Laden war es mucksmäuschen still geworden. Man hörte nur das unregelmässige Atmen der Zuhörer. Peterchen sah die glänzenden Augen der Leute. Schmerz und Kummer schien entschwunden. Und Peterchen spürte in sich die Magie aufsteigen.
Peterchen las jetzt nicht nur ab, sondern, er erzählte.
Es war einmal, es war keinmal,
...begann er zu fabulieren.
in einer früheren Zeit, als das Sieb im Stroh war,
als Esel Wesire und Kamele Barbiere waren,
er gestikulierte und versprühte Magie in die Herzen der Zuhörer:
in einer früheren Zeit, als es mehr Menschen als Hirse gab, und es Sünde war „mehr“ zu sagen, da lebte in der damaligen Zeit eine Miskäferfrau. Weil sie so allein war, machte sie sich auf die Suche nach einem Ehemann. So ging sie drei Monde und sieben tagelang, immer weiter, über Flüsse, über Hügel, ohne Halt, und als sie sich umdrehte, sah sie, dass sie nicht mal die Länge einer Gerste hinter mich gelegt hatte, und sie machte sich wieder auf den Weg, ging über Stock und Stein, über Feld und Wiese und traf auf ihrer Reise auf eine Katze.
Die fragte: „Hey Mistkäfer, wo gehest Du hinnen!?“
Beleidigt erwiderte sie: „Ich heiße nicht Mistkäfer!“
So fragte die Katze: „Oh, wie heißt Du dann?“
„Kokonierte Kokonella,
bornierte Bonbonella, wohin gehest Du Korallen Perle, hättest du mich fragen müssen.“
„Oh, entschuldiget, unser einer vermochte es nicht zu wissen. Kokonierte Kokonella,
bornierte Bonbonella, wohin gehest Du Korallen Perle?“
„Ich suche mir ein Ehemännchen.“
„Heirate mich!“
„Dein Schwanz ist lang, du würdest mich schlagen", sagte sie und ging.
„Na dann, viel Glück auf Deinem Weg und hab’ eine gute Reise!“ rief die Katze ihr hinterher.
Dann traf die Miskäferfrau eine Ratte. Sie verliebte sich und heiratete. Doch die Ratte behandelte sie wie den letzten Mist. Aus Trauer stürzte sie sich in den Bach und ertrank.
Die Katze frass die Ratte auf, und damit ist auch unser Märchen aus.
Ein Raunen und Aufatmen ging durch den Raum, als würden alle erwachen. Das gewohnte Tuscheln stellte sich ein und die Sänger sangen und die Tänzer tanzten. Wer ass, der ass auf; wer trank, der trank aus.
Peterchen kletterte vom Tafel runter und ging zum Wirt, um von ihm was zu Essen zu bekommen.
Dieser sagte begeistert: "Du hast dein Essen redlich verdient!", und überreicht ihm eine vollgepackte Jausetasche. Aufgemuntert und selbstbewusst verliess Peterchen das Wahllokal. Mit dem Umhang um die Schultern und dem Heftchen in der Jausetasche machte er sich auf sein Weg, wohin es ihn auch hinführen mochte. Er war frohen Mutes.
Er war nicht weit gegangen, da traf er auch die Riesen Schlange. Sie war ungeheuer ausgebeult und jammerte. Vor ihrem Maul ragten die Stosszähne des Elefanten. Der Kampf war immer noch nicht vorbei. Der Elefant trampelte herum, um aus der Schlange herauszukommen. Etwas verschreckt wich Peterchen zu Seite, doch die Schlange sprach ihn an:
"Lauf nicht weg, Meddah. Bleib hier. Du musst mir helfen!"
"Wie soll ich dir denn helfen?" fragte Peterchen aus weiter Ferne, damit die Schlange auch ihn nicht verschlang.
"Wenn du die Stosszähne vom Elefanten zerschmetterst, erfülle ich dir jeden Wunsch den du willst", säuselte die Schlange.
Und ein dumpfes Posaunen erklang aus seinem Inneren:
"Falls du diese Schlange umbringst, tue ich dir jeden gefallen" dröhnte der Elefant.
Peterchen stand eine Weile da, starrte die Riesenschlange an, dann die Vorderzähne die aus ihrem Mund herauslugten, dann wieder die Riesenbeule im Körper der Schlange, dann nochmal auf die Stosszähne. Er überlegte, wem er helfen solle. Beide wollten ihm einen Wunsch erfüllen. War es da nicht egal wem er half, oder sollte er doch einem bevorzugt helfen. Wer verdiente es am Leben zu bleiben, und wer verdiente den Tot? Was würden die Tierschützer jetzt machen? Peterchen, wusste die Antwort nicht. Aber er wusste, wem er eher helfen konnte, und das war die Schlange. Er musste nur die Stosszähne vom Elefanten abhacken.
"Wart einen Augenblick!" sagte er zu der Schlange und flitzte weg. Kurz darauf kam er mit einer Axt, den er von den Zirkusleuten ausgeborgt hatte und schlug die Stosszähne des Elefanten ab.
"Du hast mir diesen Gefallen getan", sagte die Schlange. Und mit den Worten "Komm werde mein Freund und ich tue dir ein Favour" nahm er ihn zu einem Pool mit. Dort sagte er: "Ich geh jetzt in den Pool hinein. Du musst aber hier warten. Doch sobald ich ins Wasser gestiegen bin, wird die Apokalypse ausbrechen. Ein Twister wird aufziehen, faustdicke Hagel werden niederprasseln, die Flut wird alles überschwemmen, die Berge geraten einander, die Erde gelangt zum Himmel, alles bebt, donnert und blitzt. Hab du keine Angst und ward hier auf mich, bis ich zurück komme. Ja? Tust du das?"
Peterchen nickte.
"Ich werde dann in Menschengestalt aus dem Wasser entsteigen. Und in diesem Moment wird das Getose und Gedonnere augenblicklich aufhören."
Daraufhin sprang er ins Wasser, und sogleich verfinsterte sich die Umgebung wie die tiefste Nacht, ein Gewitter zog auf, Regen prasselte nieder. Das Heulen wurde stärker, und die Bäume fingen an zu wippen. Ein Tornado kam, riss Bäume weg, schleuderte alles auf. Das Donnern und Blitzen wurde Höllisch laut. Peterchen erschreckte sich zu Tote. Er fing zu schreien und zu weinen an, doch da hörte plötzlich alles auf; es wurde still, und Vögel zwitscherten, als sei ein Frühlingsmorgen aufgebrochen.
Und schon sah Peterchen aus dem Wasser einen Jüngling entsteigen. Gekleidet in Brokat und Gold, mit purpurnem Umhang. Und gemeinsam machten sie sich auf den Weg.
Nachdem sie eine Weile stumm so vorangeschritten waren, fragte Peterchen: "Wohin gehen wir eigentlich?"
"Zu meiner Mutter", erwiderte dieser. "Sie wohnt da hinter der Hyazinthenhecke. Siehst du. Da hinten." Peterchen kniff die Augen. Ganz in der Ferne sah er einen purpurnen Fleck. Er nickte.
"Nachdem ich an der Tür meiner Mutter geklopft habe, sage ich zu dir: 'Komm mein Bruder!' Daraufhin wird sie mich fragen: 'Wer ist dein Bruder?' und ich werde antworten: 'Der, der mir das Leben gerettet hat.' Dann wird dich meine Mutter hereinbitten und dir sagen: 'Setz dich!' und du wirst antworten: 'Nein danke, ich hab noch was zu erledigen.' Sie bringt Kaffee und Kuchen. Auch die rührst du nicht an. So wird sie dich fragen: 'Mein Liebster, möchtest du überhaupt nichts?'
Daraufhin erwiderst du: 'Ich möchte nichts, ausser dem Spiegel, den du in dem Schrank da hast.'"
Und mit diesen Worten, standen sie schon vor der Türe der Mutter des Schlangenjünglings.
Der Jüngling klopfte. Die Mutter machte die Tür auf. "Komm Bruder", sagte die Schlangenhaut und bat Peterchen ins Haus. Als die Frau das hörte fragte sie:
"Mein Sohn, wer ist dein Bruder?" und ihr Sohn antwortet ihr mit den Worten:
"Einer, der mir das Leben gerettet hat."
Ein leuchten überzog ihre Augen und sie bat den Jungen herein: "Komm herein und setz dich." Doch Peterchen erwiderte wie empfohlen: "Ich bin nur auf einen Sprung hergekommen. Ich habe noch was zu tun, und habe deshalb nicht viel Zeit."
Auch ihr Kaffe und Kuchen wies Peterchen höflich ab. Um dem Gast die gebührende Freundlichkeit und ihre Dienste zu erweisen, versuchte die Frau dem Jungen alles recht zu machen, doch der sagte alle Angebote freundlich ab. So fragte die Mutter Peterchen: "Mein lieber Sohn, möchtest du denn gar nichts? Das geht doch nicht, als Gast irgendwohin zu kommen, nichts zu essen, nichts zu trinken. Wünschst du denn gar nichts. Kann ich denn für dich gar nichts tun?"
Peterchen freute sich, das es genauso kam, wie der Schlangensohn es ihm geschildert hatte, so sagte er aufgeregt. "Doch Sie könnten was tun. Ich wünsche mir den Spiegel, den sie da im Schrank, hinter der Türe haben. Wenn sie mir den geben, so sag ich nicht nein, und nehme ihn."
Peterchen konnte in ihren Augen die Missgunst sehen. Sie war überhaupt nicht gewollt ihm den Spiegel zu geben und Peterchen fühlte sich unwohl. Die Reaktion hätte er nun bei der Gastfreundlichkeit nicht erwartet. Der Schlangensohn griff jetzt ein und sagte:
"Aber Mutter. Ist dir so ein Stück Spiegelsplitter wichtiger, als ich. Er hat mir das Leben gerettet. Und du kannst dich von so einem Spiegel nicht trennen. Also bitte, Mutter!"
Auf sein Einreden hin, schien sie ein schlechtes Gewissen bekommen zu haben, denn sie stand auf und ging zum Schrank. Etwas zögernd griff sie rein. "Ob sie es sich doch anders überlegt hat? Nicht dass sie den Spiegel jetzt mit einem Fluch belegt", fürchtete Peterchen und sass kerzengerade auf seinem Platz und beäugte mit scharfen Augen, jede Regung der Frau.
Er sah förmlich ein Ruck durch sie gehen, als sie zum Spiegel griff und es herausholte.
Peterchen nahm den Spiegel, bedankte sich beim Schlangenjungen und verabschiedete sich von der Mutter. Der Jüngling blieb. So machte sich Peterchen allein auf den Weg.
Peterchen ging eine Weile und spielte derweil mit dem Spiegel. Er drehte ihn um, warf ihn in die Luft, fing ihn auf, und fragte sich dabei, wieso ihm der Schlangenjunge eigentlich unbedingt diesen Spiegel schenken wollte.
Als er in den Spiegel schaute, stand vor ihm ein Schwarzer Mann, so gross wie eine tausendjährige Eiche. Die Unterlippe hing ihm bis zum Boden und die Oberlippe reichte bis zu den Wolken. Als Peterchen ihn sah, wunderte er sich, wo der so plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war.
Dann rief der Mann ihm zu:
"Befehle mein Herr?"

Doch Peterchen dachte nicht ihm Traum daran ihm was zu befehlen. Neugierig wie er war,
fragte er ihn:
"Wer bist du denn?"
"Ich bin dein Nigger. Ich erfülle dir jeden Wunsch."
"Man sagt nicht Nigger, sondern Neger", korrigierte ihn Peterchen.
So sprach er wieder:
"Wie du befiehlst, oh Herr. Ich bin dein Neger. Ich erfülle dir deinen Wunsch."
"Nein, eigentlich sagt man auch nicht Neger. Das ist diskriminierend. Jetzt sagt man
eigentlich Schwarzer... Moment, das sagt man auch nicht. Farbiger kommt eher hin...---
wart mal ich hab’s: Du bist ein Afro-Amerikaner."
"Was ist ein Afro-Amerikaner?" wagte der Sklave zu fragen.
"Na, du!" sagte Peterchen.
"Ich bin dein Neger. Was wünschst du von mir."
"Ich wünsche gar nichts!" schrie Peterchen. "Es gibt schon seit, seit...-- was weiss ich seit
wann, aber es gibt seit langem keine Sklaverei mehr. Du kannst tun und lassen was du willst."
"Was soll ich tun, oh Herr?" fragte ihn der Sklave.
"Was weiss ich? Es ist dein Leben."
"Mein Leben liegt in ihrer Hand, Gebieter."
"Du bist ein freier Mensch. Du kannst gehen." sagte Peterchen.
"Wohin?", fragte ihn der Schwarze.
"Wohin du willst!" antwortete Peterchen.
"Wo ist das?"
"Was, weiss ich?"
"Wieso weisst du es nicht? Wie soll ich dir deinen Wunsch erfüllen?" fragte ihn
der Sklave dienstbeflissen.
"Ist mir egal. Geh dahin, wo der Pfeffer wächst!", schrie ihn Peterchen an, dessen
Begriffsstutzigkeit ihn nervte. Er wollte seine Ruhe haben. Zu seinem Erstaunen,
erwiderte der in aller Ruhe:
"Aber wir sind da, wo der Pfeffer wächst. Sehen Sie sich um. Hier sind die Pfefferschoten-
büsche. Wie sollen wir dahin gehen, wenn wir schon da sind. Wünschen Sie sich was anderes."
"Ach, scher dich zum Teufel!" brüllte ihn Peterchen an, dessen Geduld allmählich ein Ende nahm.
"Der ist hinter dem Berg, dort drüben unter der Holztüre im Boden. Soll ich Sie jetzt dahin bringen?" vergewisserte sich der Wünscheerfüller.
"NEIN!", schnauzte ihn Peterchen an.
"Wieso wünschen Sie dann etwas, was sie nicht wollen." fragte ihn der Diener.
"Tue ich ja gar nicht. Ist mir Wurscht was sie tun, ---"
"--Ach der Herr hat Hunger. Wieso sagen sie das nicht", fiel Peterchen der schwarze Riese ins Wort und schon stand vor Peterchen eine Pfanne brutzelnde Wurscht.
Da fiel Peterchen ein, dass er noch nichts gegessen hatte, seit er das Wallokal verlies. Er mampfte genüsslich die heisse Wurscht und war froh, dass er ihm das Essen gebracht hatte. Dabei überlegte er sich, dass es eigentlich nicht so schlimm war jemanden zu haben, der einem alle Wünsche erfüllte. Er würde dem Mann seine Freundschaft anbieten. Und alle Wünsche, die er ihm dann erfüllte, wären dann freundschaftliche Handreichungen und keine sklavischen Dienste. Als er aufgegessen hatte schrie er den schwarzen Riesen an: "Ok. Abgemacht. Ab jetzt sind wir gute Freunde und sind für uns gegenseitig da."
"Wie der Herr befiehlt", sagte der Riese mit einer Verbeugung, und Peterchen erwiderte.
"Ab jetzt sagst du nicht: Wie der Herr befiehlt. Wir sind jetzt Freunde. Sag lieber: Was mein guter Kumpel auch alles wünscht ich tue es für dich. Dafür sind ja Freunde da!"
Und der Riese kreuzte seine Hände um seine Brust und verbeugte sich: "Was mein guter Kumpel auch wünscht, ich tue es für dich. Dafür sind ja Freunde da."
"Das klingt schon viel besser. Und diese Verbeugung lässt du ja. So nimm mich auf deine Schultern. Ich bin müde geworden."
"Dein Wunsch ist mir Befehl!", sagte er und bekam von Peterchen einen schiefen Blick. Er beugte sich runter und hob ihn auf seine Schultern und sagte:
"Was mein guter Kumpel auch wünscht ich tue es für dich. Dafür sind ja Freunde da!"
"Ach das ist mir zu lang", nörgelte Peterchen. "Sag einfach: Geht klar, big P.! Wenn du willst kannst du mir dabei einen Handschlag geben. Nicht immer. Aber immer öfter wäre nett." Und er kicherte über seinen Wortwitz.
"Geht klar, big P!" grölte der schwarze Riese und ging mit mächtigen Schritten voran.
Als sie eine Zeitlang so vorangekommen waren, da fragte sich Peterchen wohin der Riese eigentlich ging. Wenn er kein Ziel hatte, konnte er auch nirgendwo ankommen. Nein, das stimmte nicht. Er würde schon mit ihm irgendwo ankommen. Nur, war es ein Ort, wo er auch hin wollte?
Nun..., war das nicht egal, wenn er nicht wusste, wohin er wollte? Ja, war das nicht egal, wenn es ihm selber egal war?
"Aber mir ist es nicht egal!" rief Peterchen plötzlich.
"Was ist loss?" fragte ihn der Riese.
"Du gehst schon ne Weile, und ich weiss nicht wohin?"
"Ja, wo willst du denn hin, big P!?", fragte ihn der Riese.
"Tja, das weiss ich auch nicht", erwiderte Peterchen. "Kannst du mir sagen, wo ich jetzt hingehen soll?"
"Das hängt davon ab, wo du hinwillst", sagte der Riese.
"Ich kenn mich hier nicht so aus. Also ist es mir egal", sagte Peterchen nach einer kurzen Überlegungspause.
"Nun, dann ist es auch egal, wo du hingest", sagte der Riese.
"Ich möchte nur gern irgendwo hinkommen!" fügte Peterchen als Erklärung hinzu.
"Ach irgendwo kommen wir bestimmt an", sagte der Riese. "Wenn wir weit genug laufen."
"Ich will aber nicht irgendwo ankommen" meinte Peterchen.
"Und ausserdem, sagst du das selbe, was ich mir grad selber überlegt habe. Du bist mir auch nicht eine grosse Hilfe. Halt man an. Wir warten so lange, bis ich weiss wo ich ankommen möchte."
Und der Riese verlangsamte seine Schritte, hielt an, und setzte Peterchen auf seinen Wunsch hin auf den Boden und verschwand.
So fing Peterchen zu grübeln an.
"Ich will an Stellen, wo zuvor vor mir kein Menschenkind war. Es soll etwas Märchenhaftes sein, etwas Unmögliches, und Aufregendes...“
Er überlegte und warf sich rücklings in das Grass.
Die Wolken zogen vorüber. Flauschig und bauschig, in Formen und Unformen besiedelten sie den Himmel.
"Ach, ich wünschte, ich könnte auch, wie Heidi auf so `ner Wolke fliegen!" dachte er. Dann knallte er mit seiner Handinnenfläche gegen die Stirn. "Ja! wieso nicht. Meine Wünsche gehen doch hier in Erfüllung! Ich wünsch es mir einfach." Er nahm den Spiegel und schaute rein. Da erschien plötzlich der schwarze Riese. "Was wünschst du, Kumpel?" fragte ihn der Riese.
"Ach. Ich möchte hoch oben auf einer Wolke fliegen." sagte er, und schon lag er hoch oben auf einer Wolke.
Als sie eine Weile so geflogen waren, wagte der Riese ihn zu fragen. "Weisst du jetzt, wo du hinwillst?"
"Ich denke schon. Hier gibt es doch sicher ein Meer?"
"Ja, da hinten. Wir fliegen genau darauf hinzu."
"Gut. Dann will ich gleich über dem Meer ein mächtiges Wolkenschloss, das grösser und schöner ist, als der Palast, des Königs, der hier regiert."
"Gleich dahinten herrscht der Padischah. Sieh seinen Saray!"
"Ja! mach meines dreifach so gross! Nein, dreizehnfach! Wenn schon, denn schon."
"Geht klar, big P." sagte der Riese und gab auf seine Hand vorsichtig einen kleinen Klaps.
"Dein Wunsch ist dir schon erfüllt worden, bevor du es sagtest."
Informierte er Peterchen und streckte seinen Arm, in Richtung Meer, um ihn den Schloss zu zeigen.
Mit aufgerissenen Augen starrte Peterchen auf den mächtigen Wolkenberg aus Türmen und Kuppeln. Vor Freude klatschte er in die Hände. "Super. Und jetzt will ich die Prinzessin!"
Kaum hatte Peterchen das ausgesprochen, schon lag er in seinem Wolkenschloss neben der Prinzessin auf dem Himmelbett. Natürlich war sie bildhübsch und verliebte sich auch in Peterchen. Es war klar dass sie glücklich dahinlebten. Alle Wünsche von Peterchen, erfüllten sich augenblicklich. Er war in kürzester Zeit so wunschlos glücklich geworden, dass er anfing sich zu langweilen. So fing er an, auf den Strassen umherzustreunen. Auf seinen Wanderungen erblickte er stets Arme Menschen, die Hunger leideten und an Krankheit litten. So wünschte er sich von seinem Riesenfreund, dass alle Menschen in seinem Reich genug zu essen und zu trinken hatten, und das jemand stets da war, der sich um ihre Gesundheit sorgt. Er gründete eine Stiftung, an dem es nie an Geld mangelte.
So machte seine Güte und Hilfsbereitschaft eine Reise von Mund zu Mund. Jeder, der davon hörte, wollte unter der Herrschaft von Peterchen leben. Jeder der auf Füssen gehen konnte, zog von den König- und Herzogtümern zu Peterchens Reich. Die Hungernden wollten was zu essen, und die Kranken wollten Gesundheit. Endlich sorgenlos leben. Das wollten sie.
Doch wegen dieser Völkerwanderung fürchteten die Könige, Padischahs, und Zaren der Umgebung um ihre Reichtümer und Herrschaftsmächte und erklärten im Bündnis, Peterchen den Krieg.
Um aber den Glücks- und Wohlzustand der Leute bewahren zu können, nahm Peterchen die Kriegserklärung an.
Und blutige Zeiten, der Zermetzelung und Verwahrlosung fing an...
Peterchen verlor seinen Spiegel, die Prinzessin und sein Wolkenschloss und landete in einem Kerker. Er wartete auf seine Hinrichtung.
"Ach! hätte ich doch den Spiegel noch!" jammerte Peterchen.
"Dann hätte ich mir meine Freiheit gewünscht. -- und den Frieden!! Wieso bin ich nicht früher darauf gekommen?
Jetzt werden die mich umbringen. Vorher foltern die mich bestimmt! Ganz lange und qualvoll. --- Ob sie mir die Augen ausstechen?! -- Meine armen Augen! Ausgehöhlt werden sie sein. --- Ausgehöhlte Augen? Wer hatte noch ausgehöhlte Augen. - Ach, Achmet! - Ja, der arme, liebe Achmet! Wieso habe ich dich vergessen? Ich hätte mir doch wünschen sollen, dass du wieder sehen kannst. So hättest du mich jetzt retten können. Was war ich für ein Tor. Wieso habe ich mich auf diesen Krieg eingelassen?! Jetzt werden sie mich sicher hinrichten. Den Kopf werden sie mir abhacken. So wie sie es mit allen Kriegsgefangenen tun. Oh, Mama, oh Papa! Ich werde euch nie wieder sehen. Mama wird mir nie wieder Kakao kochen, und Papa mir nie ein Märchen erzählen. Kein gestiefelter Kater mehr. Und Ali? Ali, mit dir werde ich auch nie wieder Tomb Raider spielen können. Ich werde deine blöden Sprüche vermissen... und die Raufereien mit dir erst recht.
Ach!
Ich wünschte du wärest jetzt da, Ali. Ich würde mit dir sogar schwimmen gehen. Wie sehr ich schwimmen auch hasse. Nur, um mit dir Spass zu haben. Oder wir machen das, worauf du Lust hast. Sicher willst du dann Tomb Raider spielen. Meinetwegen, spielen wir Tomb Raider. Oh, Ali!
Oh, Papa! Ich bete für dich dass du nie in einem Kerker landest!"
Bis jetzt hatte Peterchen nicht besonders gern gebetet. Aber in diesen Umständen schien es ihm als angemessen und er hatte auch ein grosses Bedürfnis danach zu beten.
Er kniete nieder, schloss die Augen, faltete die Hände und---.
Zum Beten kam er nicht. Zwei Wächter packten ihn an den Armen und zerrten ihn hinaus.
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